Botanische Erhaltungskulturen - Pflanzen kultivieren und am Wildstandort ausbringen

Jede Region Bayerns verfügt über floristische Besonderheiten. Im Galionsarten-Projekt wurden einige seltene oder gefährdete Arten ausgewählt, um sie als Aushängeschilder für Botanische Gärten zu nutzen. Für sie werden aufwändige Erhaltungskulturen angelegt, deren Ziel es ist, akut gefährdete Wildpopulationen mit geeignetem Samenmaterial oder Jungpflanzen zu unterstützen.

Zu diesem Zweck werden von den gefährdeten Arten Samen aus dem Freiland entnommen, vermehrt und, nach der Beseitigung der Ursachen des Bestandsrückgangs, wieder ausgewildert. Auch die Ansiedlung von Populationen in neu geschaffenen Schutzgebieten im Bereich der ehemaligen Vorkommen kann durch Individuen aus Erhaltungskulturen gelingen.

Die Kultur der Arten erfordert allerdings hohe Qualitätsstandards und hohen personellen sowie finanziellen Aufwand. Trotzdem lohnt sich die Mühe, wie einige Beispiele beweisen. So konnten bereits Populationen der extrem seltenen Arten wie das Bodensee-Vergissmeinnicht (Myosotis rehsteineri) oder Lothringer Lein (Linum leonii), dank in Kultur genommener Individuen, in letzter Sekunde vor der drohenden Auslöschung bewahrt werden. Ihre Populationen haben sich wieder weitestgehend stabilisiert. Trotzdem ist eindeutig, dass ein Ex-situ-Schutz nie den Schutz der Pflanzen in freier Natur ersetzen kann!

Für welche Arten Erhaltungskulturen angelegt werden, wird über Prioritätenlisten festgelegt. So wurden für Bayern 2009 alle einheimischen Sippen bewertet und in mehrere Prioritätenstufen eingeteilt.

Bei der Aufstellung der Prioritätenliste wurden regionale Verantwortlichkeiten aus globaler Sicht und der Gefährdungsgrad der Art in Bayern berücksichtigt. In den Fokus rückten dadurch insbesondere Arten mit eng begrenztem Verbreitungsgebiet (zum Beispiel Endemiten) und Arten an den Grenzen Verbreitungsgebietes, die durch ihre isolierte Stellung eine eigenständige genetische Ausstattung aufweisen.

Qualitätsstandards für Erhaltungskulturen

Nicht jede Pflanze, die in botanischen Gärten herangezogen wird, ist geeignet an beliebiger Stelle in der Natur ausgebracht zu werden. Eine ganze Reihe von Kriterien müssen eingehalten werden, um nicht das gewünschte Ziel - gefährdete Wildpopulationen vor dem drohenden Erlöschen zu bewahren - zu verfehlen. Zu beachten ist vor allem:

  • Bei einer Aufsammlung von Samen am Wildstandort müssen ausreichende Mengen von verschiedenen Individuen der Population entnommen werden, um ein möglichst großes Spektrum des vorhandenen Genpools zu erhalten.
  • Spender- und Empfängerpopulation müssen zumindest aus dem gleichen Naturraum stammen, um die für eine Region typischen Anpassungen an Bodenbedingungen, Kleinklima oder Konkurrenten nicht durch Einkreuzung anderer Genotypen zu gefährden.
  • Während der Kultivierungsphase im Botanischen Garten wirken andere Faktoren auf Pflanzen als am Wildstandort und können zu einer Selektion bestimmter Wuchstypen führen, die nicht mehr ausreichend an den Wildstandort angepasst sind.
  • In der oft nur wenige Individuen umfassenden Erhaltungskultur sollte auf eine gute Durchmischung der Kreuzungspartner geachtet werden, um Inzucht und die Vereinheitlichung des Erbguts zu vermeiden.
  • Durch intensive gärtnerische Betreuung und ggf. kontrollierte Bestäubung (Handbestäubung) muss die Bastardisierung nah verwandter Sippen vermieden werden.

Beispiele für erfolgreichen Ex-situ-Schutz sind beispielsweise das Bodensee-Vergissmeinnicht (Myosotis rehsteineri) im Botanischen Garten der Universität Regensburg, der Lothringer Lein (Linum leonii) im Botanischen Garten der Universität Würzburg, der Böhmische Enzian (Gentianella bohemica) im Ökologisch-Botanischen Garten Bayreuth und Brauns Schildfarn (Polystichum braunii) im Botanischen Garten Erlangen.

Datenbank zum Erfahrungsaustausch bei Erhaltungskulturen

Um die Anlage und Pflege von Erhaltungskulturen zu optimieren und den fachlichen Austausch der Gärten untereinander zu erleichtern, wird das Wissen über die Kultur stark gefährdeter Pflanzen in Form einer Datenbank gebündelt. Die Kultivierung botanischer Besonderheiten erfordert viel Fach- und Hintergrundwissen, das zwischen Gärten mit Erhaltungskulturen gleicher Arten sinnvoller Weise ausgetauscht werden sollte. Die Datenbank enthält wichtige Informationen zu Keimungs- und Bestäubungsbiologie, ökologischen Ansprüchen und viele gärtnerische Tipps und Tricks zur Kultivierung der oft sehr anspruchsvollen Galionsarten. Gleichzeitig können diese Erkenntnisse im Naturschutz genutzt werden, um effektiv Pflanzen wieder an ihren Wildstandorten auszubringen. In einer zweiten Ausbaustufe sollen Fach-Anleitungen zusammengestellt werden, wie etwa zur Handbestäubung, zur Keimungsökologie und zur Auspflanzung nachgezogener Jungpflanzen am Wildstandort.

Online-Datenbank zu Standorten und Arten in Erhaltungskulturen (Botanische Gärten Deutschland)

Genbank Bayern Arche

Im Rahmen des Projektes "Genbank Bayern-Arche" an der Universität Regensburg wurden zwischen Ende 2009 und Mitte 2015 die Samen vieler seltener und gefährdeter Pflanzenarten Bayerns gesammelt und in einer Genbank eingelagert. Die Genbank leistet damit einen wichtigen Beitrag für den Ex-Situ Schutz und für den Schutz der genetischen Vielfalt in Bayern. Ergänzend wurden zahlreiche wertvolle Forschungsergebnisse zur Keimungsökologie erarbeitet, die das Verständnis der kritischsten Lebensphase der Pflanzen deutlich verbessern.

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