Wie und was wird bei der Umgebungsüberwachung gemessen? - Ein Beispiel
Im Rahmen der Umgebungsüberwachung werden eine Vielzahl von Probenahmen und Messungen durchgeführt, die hier nicht einzeln vorgestellt werden können.
Beispielhaft sind deshalb nur die vorgeschriebenen Messungen für den Umweltbereich Luft beim bestimmungsgemäßen Betrieb eines Kernkraftwerks angegeben:
Umweltbereich Luft (01) | Betreiber | unabhängige Messstelle |
---|---|---|
1.1 Luft/äußere Strahlung | ||
1.1 a) Gamma-Ortsdosisleistung | kontinuierliche Messung an mindestens zwei Stellen | |
1.1 b) Gamma-Ortsdosis | Auslegung von 50 Festkörperdosimetern (TLD) | Auslegung von 30 Festkörperdosimetern (TLD) |
1.2 Luft/Aerosole | kontinuierliche Sammlung über 14 Tage an mindestens zwei Stellen; dann Messung durch Gammaspektrometrie (= 26 Messungen/Jahr) |
Erstellung von vierteljährlichen Mischproben aus den Einzelproben des Betreibers; dann Messung durch Gammaspektrometrie |
1.3 Luft/gasförmiges Jod | kontinuierliche Sammlung über 14 Tage an mindestens zwei Stellen; dann Messung durch Gammaspektrometrie (= 26 Messungen/Jahr) |
Informationen zu den Probenahmen und Messverfahren für den Umweltbereich Luft:
Gamma-Ortsdosisleistung
In der Umgebung des Kernkraftwerkes befinden sich an genau bestimmten Standorten zwei (meistens sogar drei) "Messhäuschen".
Die genauen Standorte wurden vor der Errichtung des Kernkraftwerkes durch Berechnungen und anhand von Wetterstatistiken (z.B: vom Deutschen Wetterdienst) ermittelt.
Sie befinden sich
- in der Hauptausbreitungsrichtung im Bereich der ungünstigsten Einwirkungsstelle für Dosisbeiträge durch äußere Bestrahlung und
- in der zweithäufigsten Ausbreitungsrichtung.
In bzw.an diesen Messhäuschen ist ein Detektor angebracht, der die dort vorhandene Gamma-Dosisleistung (Einheit: µSv/h = mikro-Sievert pro Stunde) kontinuierlich misst. Mittels einer zugehörigen Elektronik wird das Messergebnis in einem bestimmten Rhythmus auf einem Schreiberstreifen registriert. Die Schreiberstreifen werden vom Betreiber regelmäßig abgelesen. Die vom Betreiber zu berechnenden Mittelwerte müssen dem LfU vorgelegt werden.
Gamma-Ortsdosis
Für die Bestimmung der an einem festgelegten Standort aufgetretenen Gamma-Dosis (Einheit: mSv/a = milli-Sievert pro Jahr) wird ein addierendes (integrierendes) Verfahren angewandt. Hierzu werden - jeweils für ein Jahr - sog. Thermolumineszenzdosimeter (TLDs; siehe weiter unten) an bestimmten Punkten ausgelegt.
Dazu wird die Umgebung des Kernkraftwerkes (KKW) bis zu einem Radius von 25 km - mit dem KKW im Zentrum - in 12 Sektoren mit 3 Zonen eingeteilt. Die Mitte des Sektors 1 weist genau nach Norden (siehe Abbildung).
In diesen Sektoren bzw. in der Zentralzone werden TLDs ausgelegt:
- 24 TLDs
(12 für Betreiber und 12 für das LfU; also 2 TLDs pro Sektor) am Betriebsgeländezaun - 56 TLDs
(38 für Betreiber und 18 für das LfU) in der sonstigen Umgebung des KKW, d.h. in der Zentralzone und den Sektoren der Mittel- und Außenzone; abhängig von den örtlichen Gegebenheiten, zum Beispiel der Bevölkerungsdichte.
Die TLDs werden jährlich gewechselt. Die Auslegung der Dosimeter durch den Kernkraftwerksbetreiber wird durch das LfU beaufsichtigt.
Ausgewertet werden die TLDs vom Deutschen Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (HMGU) in Oberschleißheim bei München.
Luft/Aerosole
Eventuell vorhandene radioaktive Stoffe in der Luft lagern sich an Schwebeteilchen (Aerosolen) an. Diese werden in den "Messhäuschen" mittels einer Pumpe, die die Umgebungsluft ansaugt, auf einem speziellen Filterpapier abgeschieden (Aerosol-Sammler). Die Filter werden 14 Tage lang beaufschlagt und dann gewechselt. Die beaufschlagten Filter werden im Messlabor des Betreibers mittels Gamma-Spektrometrie ausgemessen. Vierteljährlich erhält das LfU vom Betreiber alle Filter, um sie als Sammelprobe - ebenfalls mittels Gamma-Spektrometrie - nochmals auszumessen.
Luft/gasförmiges Jod
Radioaktives Jod kommt nur in geringsten Mengen, verursacht durch die kosmische Strahlung, in der Natur vor. Messbare Mengen haben deshalb immer einen künstlichen Ursprung, zum Beispiel durch die Freisetzung aus einem Kernkraftwerk. Gemessen wird das Jod-Isotop Jod 131, da dieses im Vergleich zu den anderen Unterarten des Jod (Isotope oder Nuklide) eine relativ lange Halbwertszeit von ca. 8 Tagen hat.
Das Messverfahren ist identisch mit der Aerosol-Messung: Mittels einer Pumpe im Messhäuschen wird Luft angesaugt und das Jod auf einem speziellen Filter-Material abgeschieden (Jod-Sammler). Der Filter wird 14 Tage beaufschlagt und dann gewechselt. Das Filtermaterial wird anschließend vom Betreiber gamma-spektrometrisch ausgemessen.
Ein Probenversand und eine Nachmessung durch das LfU erfolgt hier nicht, da die Halbwertszeit zu kurz ist.
Thermolumineszenzdosimeter TLD
Ein TLD ist ein Gerät (siehe Foto), das auf die am Auslegungsort herrschende Gamma-Strahlung empfindlich reagiert und die Einwirkungen dieser Strahlung aufsummieren kann.
Das TLD besteht im Wesentlichen aus kleinen Kristallen (Lithiumborat und Calciumsulfat). Diese Kristalle werden durch die Gamma-Strahlung im atomaren Bereich "angeregt", d.h. es werden Anregungszustände erzeugt. (Dabei ist es unerheblich, ob die Anregungszustände von der immer vorhandenen natürlichen Strahlung, oder von einer künstlichen (zum Beispiel vom Kernkraftwerk) verursacht werden). Je mehr und/oder je länger die Gamma-Strahlung auf die Kristalle einwirkt, desto mehr solcher Anregungszustände werden gebildet. Diese Anregungszustände bleiben über längere Zeit in den Kristallen erhalten. Da die Kristalle überempfindlich auf niederenergetische Gamma-Strahlung reagieren, wird das TLD mit einer Bleiabschirmung ausgestattet, die diese Über-Proportionalität kompensiert.
Auswertung der TLDs:
Die Kristalle werden mit einem speziellen Verfahren erwärmt. Durch diese Erwärmung entladen sich die Anregungszustände in den Kristallen in Form von Lichtblitzen. Die Menge des insgesamt von den jeweiligen Kristallen abgegebenen Lichts ist ein Maß für die Gamma-Dosis, die die Kristalle an dem Auslegeort "abbekommen" haben.
Gammaspektrometrie
Bleiabschirmungen (oben), Behälter (Dewars) für den flüssigen Stickstoff (minus 196 Grad Celsius, unten).
Beim mittleren Messplatz ist die Bleiabschirmung geöffnet und die Kupferauskleidung (gegen spezielle Störeffekte bei der Messung), sowie der Detektorkopf sind sichtbar. Übrigens: Jeder Messplatz (mit der zugehörigen Elektronik, s.u.) kostet in der Anschaffung ca. € 40.000,--.
Die (künstliche) Radioaktivität der Proben ist im Allgemeinen so gering (wenn überhaupt vorhanden), dass sie durch die immer vorhandene natürliche Radioaktivität völlig überdeckt würde. Eine evt. vorhandene künstliche Radioaktivität wäre darum überhaupt nicht messbar. Der Detektor muss deshalb gegenüber der natürlichen Strahlung durch eine Bleiummantelung abgeschirmt werden.
Mit Hilfe der Gamma-Spektrometrie kann man in einer Probe bestimmen, welche radioaktiven Substanzen enthalten sind.
Die meisten der bekannten Radionuklide (= radioaktive Unterarten der chemischen Elemente, Isotope) strahlen beim Zerfall ein oder mehrere Gamma-Quanten mit ganz bestimmten Energien aus. Anhand dieser Energien (Gamma-Spektrum) lassen sich die Radionuklide gut identifizieren. (Beispiel: Zerfallschema von Kobalt (Co) 60).
Zur Registrierung der Gamma-Quanten wird ein hochreiner Germanium-Kristall benützt.
Messtechnische Komponenten:
- Kühlbehälter mit flüssigem Stickstoff (verringert das thermische Rauschen im Kristall)
- Hochspannungsversorgung (hochstabilisiert)
- Vorverstärker
- Haupt(Spektroskopie)-Verstärker
- Analog zu Digital-Converter (ADC)
- Vielkanal-Analysator (VKA)
- PC mit spezieller Software
Vor Inbetriebnahme eines Gamma-Spektroskopie-Messplatzes sind umfangreiche Arbeiten zur Energie- und Effektivitätskalibrierung erforderlich. Um richtige Messergebnisse zu erhalten, müssen diese Kalibrierungen in regelmäßigen Abständen wiederholt werden.
Gamma-Spektrum
Zerfallschema des Nuklides Co (Kobalt) 60
Nach dem vorangegangenen Beta-Zerfall folgen zu 99,85% aller Zerfälle zwei charakteristische Gamma-Quanten mit 1,173 MeV und 1,332 MeV Energie. Zu 0,15% aller Zerfälle folgt nur das Gamma-Quant mit 1,332 MeV Energie.
MeV (= Mega-Elektronenvolt) ist ein typisches Maß in der Kernphysik: 1 MeV = 4,45 x 10-20 kWh (Kilowattstunden).
10-1 = 0,1 oder 1/10, 10-20 = 0,00000000000000000001