FAQ: Arzneimittel in der Umwelt

In Deutschland werden in der Humanmedizin über 2.500 Arzneimittelwirkstoffe mit jährlichen Verbrauchsmengen von mehr als 30.000 Tonnen verkauft. Rund die Hälfte dieser Wirkstoffe ist nach Auswertung des Umweltbundesamtes als potenziell umweltrelevant einzustufen. Dies entspricht einem jährlichen Verbrauch von rund 9.000 Tonnen. Als nicht umweltrelevant werden natürliche Substanzen wie Vitamine, Aminosäuren, Salze etc. betrachtet.

In der Tiermedizin sind rund 450 Wirkstoffe zugelassen, wobei einige davon auch in der Humanmedizin verwendet werden. Obwohl Tierärzte die Medikamentenabgabe in Form von Arzneimittelanwendungs- und -abgabebelegen bereits seit vielen Jahren dokumentieren und Landwirte die Behandlungen in ihre Stallbücher eintragen müssen, sind verlässliche Zahlen zu Anwendungsmengen von Tierarzneimitteln nicht erhältlich, da die vor Ort erhobenen Daten nicht zusammengeführt werden. Lediglich für Antibiotika liegen Auswertungen des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) vor. Antibiotika machen den Großteil der verabreichten Tierarzneimittel aus. Im Jahr 2022 wurden rund 540 Tonnen Antibiotikawirkstoffe abgegeben. Erfreulich ist, dass die abgegebenen Mengen der für die Therapie beim Menschen äußerst wichtigen Fluorchinolone, Cephalosporine der 3. und 4. Generation und für Colistin in den letzten Jahren gesunken sind.

Auf Grund der demographischen Entwicklung (Zunahme des Anteils älterer Menschen) ist in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten mit einem deutlichen Anstieg des Arzneimittelverbrauchs zu rechnen. Auswertungen des Umweltbundesamtes zeigen bereits einen Anstieg der umweltrelevanten Wirkstoffe von 6.200 Tonnen im Jahr 2002 auf rund 9.000 Tonnen im Jahr 2020.

Arzneimittelwirkstoffe werden vom Menschen entweder unverändert oder in Form von Umwandlungsprodukten (Metaboliten) ausgeschieden und gelangen somit ins Abwasser. In Deutschland werden ca. 95 % des kommunalen Abwassers und nahezu 100 % des Abwassers aus Kliniken in kommunalen Kläranlagen gereinigt. Geringe Mengen des kommunalen Abwassers werden bei größeren Regenereignissen über sogenannte Mischwasserüberläufe stark verdünnt in die Oberflächengewässer abgeleitet.

Darüber hinaus werden Arzneimittelwirkstoffe durch unsachgemäße Entsorgung über die Toilette oder das Waschbecken in das Abwasser eingetragen. Eine Studie aus dem Jahr 2014 auf Basis einer Befragung von 2.000 repräsentativ ausgewählten Personen hat zum Beispiel ergeben, dass fast die Hälfte der Bevölkerung flüssige Arzneimittelreste mehr oder weniger oft über Toilette oder Waschbecken entsorgt.

Zahlreiche Arzneimittelwirkstoffe werden in Kläranlagen nach dem Stand der Technik nur unvollständig abgebaut oder im Klärschlamm zurückgehalten, so dass sie in die Oberflächengewässer eingetragen werden. Mit moderner Messtechnik können daher Arzneimittelwirkstoffe in vielen Gewässern analytisch nachgewiesen werden.

Eine weitergehende Reduktion lässt sich durch Anwendung zusätzlicher Reinigungstechniken wie Ozonung oder Behandlung mit Aktivkohle oder einer Kombination dieser Techniken erreichen (sogenannte "4. Reinigungsstufe" an Kläranlagen). Dies ist allerdings mit einem erhöhten Energie- und Kostenaufwand verbunden.

Eine erste großtechnische Anlage wurde im Herbst 2017 in der Stadt Weißenburg in Betrieb genommen, weitere Anlagen sind derzeit in Planung.

Die Wirkstoffe gelangen überwiegend über die Ausbringung von Wirtschaftsdüngern (Gülle, Jauche, Mist) in die Umwelt. Sie können bei Regen durch Oberflächenabfluss in Gewässer eingetragen werden oder nach Bodenpassage in das Grundwasser gelangen.

Das Abwasser von Krankenhäusern, Spezialkliniken und Alten- und Pflegeheimen wird normalerweise in kommunalen Kläranlagen mit behandelt. Aktuelle Untersuchungen zeigen keinen Zusammenhang zwischen der Gewässerbelastung mit Arzneimitteln und den Krankenhäusern oder Heimen im Einzugsgebiet. Es sind aber Zusammenhänge zwischen der Zahl der Röntgenpraxen und den gemessenen Konzentrationen an Röntgenkontrastmitteln im Kläranlagenablauf erkennbar.

Einträge von Arzneimittelwirkstoffen von Produktionsstandorten spielen in Bayern keine Rolle.

Belastungen des Grundwassers mit Arzneimittelwirkstoffen sind nur feststellbar, wenn dieses Grundwasser durch Abwasser oder durch Oberflächengewässer beeinflusst ist. In den Jahren 2007 - 2009 wurden gemeinsam mit dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) Roh- und Trinkwasserproben von bekannten oberflächenwasserbeeinflussten Wasserversorgungsanlagen in Bayern entnommen und auf Arzneimittelrückstände untersucht. Einzelne Arzneimittelwirkstoffe konnten in uferfiltratbeeinflussten Brunnen in geringen Konzentrationen gefunden werden. Die überwiegende Menge der in Fließgewässern nachgewiesenen Arzneimittelwirkstoffe wird bei der Bodenpassage zurückgehalten. Aufgrund der ermittelten niedrigen Konzentrationen besteht keine Besorgnis, dass die menschliche Gesundheit gefährdet wird.

Ein diffuser Eintrag von Tierarzneimittelwirkstoffen in das Grundwasser kann grundsätzlich über die Ausbringung von Wirtschaftsdünger wie zum Beispiel Gülle erfolgen. Untersuchungen haben gezeigt, dass nur bei besonders ungünstigen Standortbedingungen (u.a. sorptionsschwache Böden, hoher Grundwasserstand) in Einzelfällen Tierarzneimittelwirkstoffe nachweisbar sind.

Da Arzneimittelwirkstoffe überwiegend mittelpolare bis polare Substanzen darstellen, kommt meist die Hochdruckflüssigchromatographie in Verbindung mit der Massenspektrometrie (HPLC-MS/MS) zum Einsatz. Damit können einzelne Stoffe im Spurenbereich von wenigen Nanogramm/Liter erfasst werden. Häufig kommen sogenannte Multimethoden zum Einsatz, mit denen eine Vielzahl von Wirkstoffen in einem Analysengang erfasst werden können. Durch die große Anzahl von Arzneimittelwirkstoffen sind aber unterschiedlichste chemische Strukturen vorhanden, so dass für umfassende Analysen mehrere Methoden eingesetzt werden müssen.

Je nach Verbrauchsmenge und Eliminationsrate in Kläranlagen werden Arzneimittelwirkstoffe in ganz unterschiedlicher Konzentration im Wasser gefunden.

In Kläranlagenabläufen können Maximalkonzentrationen von bis zu 50 µg/l erreicht werden. In Fließgewässern sind üblicherweise 0,005-0,5 µg/l zu finden, dies hängt jeweils von den aktuellen Verdünnungsverhältnissen ab. Nur wenige Wirkstoffe können nach einer Bodenpassage in Uferfiltraten in Konzentrationen bis zu ca. 0,05 µg/l gefunden werden, die in der Folge auch in Trinkwässern enthalten sein können, sofern keine besonderen Aufbereitungsschritte durchgeführt werden.

Ein Großteil der Medikamente ist bei der Entsorgung als nicht gefährlicher Abfall einzustufen. Dennoch dürfen Medikamente nicht über Toilette oder Ausguss ins Abwasser gegeben werden, sondern sind in Bayern in der Regel wie häuslicher Abfall über die Restmülltonne und letztendlich über die Müllverbrennung zu entsorgen – zugeknotet verpackt in einer Plastiktüte, damit Kinder oder Dritte keinen Zugriff mehr haben. Eine Ausnahme sind die Landkreise Bad-Tölz-Wolfratshausen und Weilheim-Schongau; hier empfiehlt das LfU, die Medikamente über die Problemabfallsammlung zu erfassen und zu entsorgen.

Auf Grund der unterschiedlichen therapeutischen Anwendungsbereiche ist keine einheitliche Wirkungsweise von Arzneimittelwirkstoffen auf Gewässerlebewesen zu erwarten.

Zur Ermittlung der Auswirkungen werden umfangreiche Wirktests mit ausgewählten Testorganismen wie Algen, Daphnien (Kleinkrebse) oder Fischen durchgeführt. Dabei werden sowohl akut giftige Wirkungen als auch chronische Wirkungen ermittelt.
Einige wenige Wirkstoffe zeigen bereits in sehr niedrigen, umweltrelevanten Konzentrationen schädliche Effekte, so konnten zum Beispiel durch geringe Mengen des Schmerzmittels Diclofenac Organveränderungen an Niere und Kiemen von Fischen festgestellt werden.
Bislang liegen nur für einen Teil der im Wasser gefundenen Arzneimittelwirkstoffe entsprechende Untersuchungen vor, so dass die Auswirkungen noch nicht endgültig beurteilt werden können.

Das LfU hat in den letzten Jahren umfangreiche Untersuchungen zu Auswirkungen umweltrelevanter Arzneimittel auf Fische durchgeführt. Es gibt aufgrund der Vielzahl an Wirkstoffen und therapeutischen Anwendungsbereichen keine einheitliche Wirkungsweise. Bisher liegen eigene Untersuchungsergebnisse für die Arzneimittelwirkstoffe Diclofenac (Antiphlogistikum, Antirheumatikum), Carbamazepin (Antiepileptikum), Metoprolol (ß-Blocker) und Clofibrinsäure (Abbauprodukt des Lipidsenkers Clofibrat) vor.

Die Untersuchungen ergaben, dass von den genannten Arzneimitteln ausschließlich Diclofenac in umweltrelevanten Konzentrationsbereichen zu Organveränderungen an Niere und Kiemen von Fischen und damit zu einer Beeinträchtigung der Fischgesundheit führen kann. Untersuchungen an frühen Lebensstadien von Fischen, die sich auf Diclofenac und Carbamazepin beschränkten, ergaben keine Beeinflussung entwicklungsbiologischer und damit populationsrelevanter Parameter.

Eigene Untersuchungsergebnisse des LfU zu Arzneimittel-bedingten Verhaltensänderungen bei Fischen liegen nicht vor. Eine wissenschaftliche Veröffentlichung in der renommierten Fachzeitschrift Science (Brodin et al., Dilute concentrations of a psychiatric drug alter behavior of fish from natural populations. Science, Vol. 339, 15. Feb. 2013) befasst sich jedoch mit Verhaltensänderungen bei Flussbarschen (Perca fluviatilis), die durch das − zur Gruppe der Benzodiazepine gehörende − Psychopharmakon Oxazepam ausgelöst wurden. Der Studie zufolge führte eine experimentelle Exposition juveniler Flussbarsche im Wasser mit Konzentrationen von 1,8 µg/L und 910 µg/L Oxazepam zu Veränderungen der Aktivität sowie des Sozial- und Fressverhaltens der Fische. Nach Einschätzung der Autoren können diese Effekte auch Auswirkungen auf das Ökosystem haben. Die in der Studie eingesetzte niedrige Konzentration von 1,8 µg/L wird als realistische Umweltkonzentration für verschiedene Europäische Gewässer beschrieben. Im Gegensatz dazu liegen die dem LfU bisher für bayerische Gewässer bekannten Konzentrationen von Oxazepam im Bereich um 0,01 µg/L und damit um mindestens 2 Größenordnungen niedriger als die von Brodin et al. kommunizierten Effektkonzentrationen.

Das Umweltbundesamt ist zuständig für die Umweltrisikoprüfung von neuen Human- und Tierarzneimitteln mit neuen und bekannten Wirkstoffen (zum Beispiel Generika). Die Prüfung erfolgt nach Leitfäden der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) auf Basis der von den antragstellenden Firmen eingereichten Daten zu Exposition, Verbleib, Stoffverhalten und Wirkungen. Das UBA kann bei Tierarzneimitteln bei einem erheblichen Umweltrisiko sein Einvernehmen zur Zulassung versagen, dies ist bei Humanarzneimitteln jedoch nicht möglich. Bei Human- und Tierarzneimitteln kann das Umweltbundesamt auch Risikominderungsmaßnahmen zur Auflage machen.

Eine Umweltprüfung für Altarzneimittel findet in Deutschland nicht statt.

Durch kleinere Packungsgrößen könnte die Menge an Arzneimittelwirkstoffen, die als Abfall anfallen, verringert werden.

Durch ein verändertes Verschreibungsverhalten der Ärzte kann der Verbrauch an Arzneimittelwirkstoffen prinzipiell reduziert werden. Durch die Entwicklung neuer Therapieformen und der Sensibilisierung der Ärzteschaft für mögliche Umweltauswirkungen von Arzneimitteln sind Minderungen denkbar.

Bei der Entwicklung von neuen Wirkstoffen sollte die Abbaubarkeit in der Umwelt nach bestimmungsgemäßer Verwendung wenn möglich mit berücksichtigt werden.

Der Verbrauch von Tierarzneimitteln und hier insbesondere von Antibiotika kann durch andere Techniken oder Haltungsformen in der Tierzucht verringert werden.

Teilen