ProNaHo
Hintergrund
Dezentrale Hochwasserrückhaltemaßnahmen bilden einen wichtigen Bestandteil des Bayerischen Gewässer-Aktionsprogramms 2030 (PRO Gewässer 2030), Bayerns integrale Strategie für Hochwasserschutz und naturnahe Gewässerentwicklung. Im Rahmen des Forschungsvorhabens ProNaHo (Prozessbasierte Modellierung natürlicher sowie dezentraler Hochwasserrückhaltemaßnahmen zur Analyse der ereignis- und gebietsabhängigen Wirksamkeit) wurde von der Technischen Universität München im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Umwelt deren potenzielle Wirksamkeit untersucht, um möglichst allgemeingültige Aussagen bezogen auf verschiedene Naturräume Bayerns zu erhalten.
Untersuchungsgebiete
Die Eigenschaften eines Einzugsgebietes beeinflussen die potenzielle Wirksamkeit dezentraler Hochwasserrückhaltemaßnahmen maßgeblich. Um bayernweit gültige Aussagen zu ihrer Wirkung treffen zu können, wurden verschiedene Naturräume und Fließgewässerlandschaften Bayerns einbezogen. Für das Projekt wurden vier Untersuchungsgebiete verschiedener Größe (je rund 100 bis 1.000 km²) und weitere vier darin liegende Teilgebiete an Glonn, Otterbach, Mangfall und Main ausgewählt. Die Gebiete liegen in repräsentativen Naturräumen Bayerns und weisen unterschiedliche Charakteristika bezüglich Topographie, Geologie, Boden, Landnutzung, Meteorologie und Hydrologie auf. Damit kann eine große Bandbreite verschiedener Einzugsgebietscharakteristika verglichen werden.
Wirksamkeit der einzelnen Rückhaltemaßnahmen
Landnutzungs- und Bewirtschaftungsänderungen, Renaturierungs- und Auengestaltungsszenarien, kleine dezentrale Rückhaltebecken sowie Biberdammkaskaden wurden numerisch modelliert. Die Wirksamkeitsanalysen wurden sowohl für kurze und intensive Regenereignisse (konvektive Ereignisse) als auch für langanhaltenden Dauerregen (advektive Ereignisse) durchgeführt. Die Ergebnisse der einzelnen Szenarien und Analysen wurden gegenübergestellt, verglichen und diskutiert, um die Möglichkeiten und Grenzen der einzelnen Maßnahmen zu bestimmen.
Landnutzungs- und Bewirtschaftungsänderungen
Flächenhafte Maßnahmen wie Landnutzungs- und Bewirtschaftungsmaßnahmen beeinflussen die Abflussbildung und Abflusskonzentration. Im Rahmen von ProNaHo wurden die sechs Maßnahmentypen Aufforstung, Extensivierung der Landwirtschaft, konservierende Bewirtschaftung, ökologischer Waldumbau, Direktsaat und Entsiegelung mit jeweils einem potenziell realistischen Umsetzungsumfang und einem Extremszenario untersucht. Einschränkungen, wie z.B. durch bestehende Landnutzungen oder aus naturschutzfachlicher Sicht, wurden dabei nicht berücksichtigt. Das Potential zum Hochwasserrückhalt durch Landnutzungsänderungen, wie die Umwandlung von Ackerflächen in Grünland oder Aufforstungen konnte in den untersuchten Gebieten nachgewiesen werden. Mit zunehmender Intensität der untersuchten Ereignisse reduzierte sich der mögliche Beitrag zum Hochwasserrückhalt (vgl. Grafik unten). Es hat sich zudem gebietsübergreifend gezeigt, dass die Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen stark von den Gebiets- und Ereigniseigenschaften sowie dem möglichen Umfang der Maßnahmenumsetzung abhängt.
Renaturierungs- und Auengestaltungsszenarien
Maßnahmen zur Renaturierung und Auengestaltung entlang von Gewässern verändern dessen Abflusseigenschaften. Im Projekt ProNaHo wurde die Wirksamkeit einer maximal möglichen Renaturierung, das heißt eine Renaturierung der gesamten Fläche des theoretischen Auenpotenzials im betrachteten Gewässerabschnitt, untersucht. Mit zunehmender Jährlichkeit und zunehmendem Abflussvolumen konnte eine tendenzielle Abnahme der Scheitelreduzierung aufgezeigt werden sowie eine starke Abhängigkeit der Wirksamkeit von den Untersuchungsgebieten und Hochwasserereignissen. Trotz der gebietsabhängig begrenzten Wirkung können Renaturierungsmaßnahmen aufgrund vielfältiger Synergien und positiver ökologischer Auswirkungen sinnvoll sein und werden daher in der Regel begleitend zum technischen Hochwasserschutz umgesetzt.
Biberdammszenarien
Biber beeinflussen durch ihre Dammbautätigkeit das Abflussgeschehen. Dabei war jedoch unklar, ob auch bei Hochwasserereignissen ein Effekt zu erwarten ist. Deshalb wurde das Hochwasserrückhaltepotenzial potenzieller Biberdammkaskaden in den Einzugsgebieten von Otterbach und Glonn quantifiziert, um deren Effekt im Vergleich zu anderen natürlichen Hochwasserrückhaltemaßnahmen bewerten zu können. Die Modellierungsergebnisse verdeutlichten, dass die untersuchten Biberdammkaskaden gebiets- und ereignisübergreifend einen sehr geringen Effekt zeigen. Es lässt sich schlussfolgern, dass von Biberdämmen kein nennenswerter Beitrag zum dezentralen Hochwasserrückhalt erwartet werden kann.
Dezentrale Rückhaltebecken
Kleine Rückhalteräume, die dezentral in einem Einzugsgebiet angeordnet werden und in Kombination wirken, zählen zu den potenziell wirksamsten Maßnahmen im Bereich des dezentralen Hochwasserrückhalts. Durch ProNaHo wurde die Wirksamkeit potenzieller kleiner dezentraler Hochwasserrückhaltebecken (HRB) analysiert, welche zuvor durch eine topographische Gebietsanalyse selektiert wurden. Als Grenzwerte wurde für die HRB ein Gesamtstauraum von 50.000 m3 und eine maximale Höhe des Absperrbauwerks von 4 m definiert. Entlang der Gewässer wurden in den Untersuchungsgebieten etwa ein bis zwei potenzielle Standorte pro km2 bestimmt. Standorte, die zu einem Einstau von Restriktionsbereichen wie z.B. Siedlungen führen würden, wurden ausgeschlossen. Ansonsten wurden keine weiteren Untersuchungen hinsichtlich einer baulichen Realisierbarkeit der HRB durchgeführt.
Im Rahmen der Wirksamkeitsanalysen wurden circa 1,3 Millionen Beckenkombinationen berechnet und dabei verschiedene Einflussfaktoren (z. B. Standortoptimierung, Drosseloptimierung) analysiert. Die Scheitelabminderungen variierten stark in Abhängigkeit von Gebiets- und Ereigniseigenschaften und nahmen mit zunehmender Einzugsgebietsgröße tendenziell ab. Es zeigte sich, dass grundsätzlich ein ideal gesteuertes Becken direkt vor einem zu schützenden Standort wirksamer ist als eine dezentrale Anordnung ungesteuerter, kleiner Rückhaltebecken des gleichen Retentionsvolumens im Oberlauf dieses Standortes, da diese von Überlagerungseffekten beeinflusst werden.
Kombinationsszenarien
Die betrachteten Maßnahmen wurden zusätzlich in Kombination untersucht, indem Landnutzungs- und Bewirtschaftungsänderungen, dezentrale Rückhaltebecken sowie Renaturierungs- und Auengestaltungsmaßnahmen schrittweise in die Modelle implementiert wurden (Umfang der Maßnahmen siehe Abbildung 19 im Kurzbericht). Eine Kombination der Maßnahmen führte gebiets- und ereignisübergreifend zu deutlichen Scheitelabminderungen. Die überwiegend größeren Scheitelabminderungen der Kombinationsszenarien im Vergleich zu den aufsummierten Einzelszenarien deuten auf Synergieeffekte zwischen den einzelnen Maßnahmen hin. Dies verdeutlicht das Potenzial von integralen Hochwasserschutz- und Rückhaltekonzepten. Eine Gegenüberstellung der einzelnen Maßnahmen zeigte aber auch die große Variabilität in deren Wirkung und damit die Bedeutung einer gebietsspezifischen Optimierung von Maßnahmenkombinationen bei der Erstellung integraler Hochwasserschutz- und Rückhaltekonzepte.
Fazit
Die Studie konnte die potenzielle Wirksamkeit umfangreicher natürlicher und dezentraler Hochwasserrückhaltemaßnahmen in den untersuchten Gebieten verdeutlichen. Sie stellen eine wichtige und sinnvolle Ergänzung zum lokalen technischen Hochwasserschutz (Deiche, Hochwasserschutz-Wände und mobile Elemente) dar. Die größten Wirksamkeiten dezentraler Hochwasserrückhaltemaßnahmen können durch dezentrale Rückhaltebecken erreicht werden. Danach folgen Landnutzungsänderungen (Erhöhung Grünlandanteil, Aufforstung), wobei es in der Praxis eine Herausforderung sein dürfte, den angesetzten Maßnahmenumfang zu erreichen.
Die Reduzierung der Hochwasserscheitel durch eine Gewässerrenaturierung mit Auwaldanschluss und die untersuchten Bewirtschaftungsmaßnahmen liegen auf einem vergleichbaren Niveau, das deutlich unter dem der dezentralen Rückhaltebecken und der Landnutzungsänderungen liegt. Der Effekt von Biberdämmen auf den Hochwasserabfluss ist vernachlässigbar klein. Bei integralen Konzepten ist es wichtig die Maßnahmenkombinationen spezifisch auf die Gebietseigenschaften abzustimmen, da sich gezeigt hat, dass die Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen stark von den Gebiets- und Ereigniseigenschaften sowie dem möglichen Umfang der Maßnahmenumsetzung abhängt. Das gilt auch für die Umsetzung einzelner Maßnahmen, weshalb die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Gebiete in Bayern nur sehr beschränkt möglich ist.
Wichtig bei der Interpretation der Ergebnisse ist zudem, dass der angesetzte Maßnahmenumfang der untersuchten Landnutzungs- und Bewirtschaftungsmaßnahmen sowie Renaturierungen ein theoretisches Potenzial darstellt, das sich in der Praxis durch Einschränkungen, wie z.B. durch bestehende Landnutzungen oder aus naturschutzfachlicher Sicht, oftmals stark einschränkt.
Um einen vollständigen HQ100-Schutz zu erreichen, sind im Regelfall dezentrale Rückhaltebecken und / oder lokale, technische Hochwasserschutzanlagen notwendig.