Winter 2023/2024
Starkschneefälle und Rekordtemperaturen
Ergiebige Neuschneefälle Ende November/Anfang Dezember 2023 bescherten den Bayerischen Alpen eine überdurchschnittlich hohe Schneedecke. Die deutlich zu milden Temperaturen in den Folgemonaten brachten den Schnee in tiefen und mittleren Lagen zum Schmelzen. In den Hochlagen entsprach die Schneemächtigkeit aufgrund periodisch auftretender Schneefälle fast den gesamten Winter über dem langjährigen Mittel (Abbildung 1). Anfang April waren die Weichen auf ein Saisonende bereits gestellt, ehe eine Kaltfront mit bis zu 70cm Neuschnee den Winter zurück in die bayerischen Alpen brachte. Der Winter war gekennzeichnet durch ein ausgeprägtes Gleitschneeproblem. Die Kombination von viel Schnee und einem warmen Untergrund sorgte vielerorts auf glatten Wiesenhängen sowie Felsplatten für Gleitbewegungen der Schneedecke. Die Lawinenkommissionen waren besonders in der ersten Dezember- und der zweiten Aprilhälfte aktiv und mussten mehrmals Empfehlungen zu Straßen-, Wege- und Pistensperrungen abgeben. Insgesamt wurden der Lawinenwarnzentrale zehn Unfälle mit Personenbeteiligung abseits überwachter Bereiche gemeldet, wovon einer in den Allgäuer Alpen unglücklicherweise tödlich verlief.
Lawinengefahr im Winter 2023/2024
November
Bereits Ende Oktober 2023 fiel in den Hochlagen der Bayerischen Alpen Schnee, der sich halten konnte. Kalte, feuchte Polarluft gegen Ende November sorgte dann auch bis in die Tallagen für ergiebige Schneefälle, so dass verbreitet eine geschlossene Schneedecke zu finden war. Wie so häufig variierte die Schneehöhe mit einem erkennbaren West-Ost-Gefälle. So haben vor allem die Schneemessstationen in den Allgäuer und Werdenfelser Alpen bereits Maximalwerte seit Beginn der Aufzeichnungen gemessen. Die Lawinenwarnzentrale bekam in dieser Phase bereits viele detaillierte Beobachtungen zum Schneedeckenaufbau aus dem Gelände, so dass sie mit der täglichen Beurteilung der Lawinensituation starten konnte. Am 28. November wurde der erste Lawinenlagebericht der Saison veröffentlicht. Das Altschneefundament in den Hochlagen war verbreitet feucht. Im darüberliegenden Neuschnee war stellenweise Graupel eingelagert, der durch gewittrige Niederschlagsphasen entstanden ist. Wind aus westlichen Richtungen hat mit der Höhe zunehmend Triebschneepakete gebildet, die störanfällig waren. Besonders aus dem Allgäu wurden zahlreiche Gleitschneelawinen zurückgemeldet. In höheren Lagen gab es vermehrt kleinere Locker- und Schneebrettlawinen.
Dezember
Die Neuschneefälle hielten bis zum zweiten Dezember an, so dass auch in den Bayerischen Voralpen und den Regionen östlich des Inns langjährige Maximalschneehöhen gemessen wurden. Innerhalb weniger Tage fielen verbreitet bis zu 60cm, in Staulagen bis zu 100cm Neuschnee. Im gesamten Bayerischen Alpenraum wurde am 03. Dezember die Lawinengefahr als erheblich eingestuft (Gefahrenstufe 3 von 5). Sonne und kalte Temperaturen lockten viele Wintersportler in die Berge. Lawinen mit Personenbeteiligung sind nicht bekannt. Vielmehr lösten sich vor allem in tiefen und mittleren Lagen Lawinen von selbst. Im Allgäu und den Ammergauer Alpen mussten Winterwanderwege gesperrt werden. In den Folgetagen konnte sich mit wechselhaftem und mildem Wetter die Schneedecke setzen. Die Lawinengefahr ging etwas zurück, bevor sie mit Regen bis in eine Höhenlage von etwa 2.000m wieder anstieg. Oberhalb von 2.000m fiel Schnee. In den Tagen vom 10. bis 15. Dezember war die Lawinengefahr besonders in den Hochlagen erheblich. In mittleren Lagen waren Gleitschnee und in höheren Lagen Triebschnee als Lawinenprobleme vorherrschend. Am 11. Dezember mussten in den Skigebieten Fellhorn und Brauneck Pisten gesperrt werden. Auch aus anderen Regionen wurden mehrere Abgänge von teils mittelgroßen Gleitschneelawinen gemeldet. Das milde Wetter hielt an und sorgte vielerorts für monatliche Höchsttemperaturen. Auf dem Zugspitzplatt wurden am 19. Dezember nachts über 7°C gemessen (Maximalwert in den Wintermonaten). Die Schneedecke setzte sich weiter. Die Lawinengefahr ging zurück. Die Absturzgefahr überwog die Gefahr einer Verschüttung. Lockerer Schnee war nur noch in den höchsten schattseitigen Lagen zu finden. Die Schneedecke war frei von Schwachschichten und mit Eislamellen und Schmelzharschkrusten durchzogen, welche durch Regeneintrag entstanden sind. Tiefe und südseitige Lagen, Kuppen und Grate aperten zusehends aus. Am Wochenende vor den Weihnachtsfeiertagen sollte noch einmal Tief "Zoltan" für turbulentes Wetter sorgen. Für den Bayerischen Alpenraum waren lokal mehr als 60cm Neuschnee und schwere Sturmböen angekündigt. In den Hochlagen der Bayerischen Alpen herrschte hohe Lawinengefahr (Gefahrenstufe 4 von 5). Der Wind hat die Schneemengen, die geringer ausfielen als erwartet, weit in der Fläche verfrachtet, so dass keine größeren Lawinen entstehen konnten. Anschließend folgte Tauwetter mit hohen Temperaturen: In Piding (Berchtesgadener Land) und Garmisch-Partenkirchen (Werdenfelser Land) wurden an Heiligabend (24.12.) mit Temperaturen über 15°C bundesweit Höchstwerte gemessen. Der Feuchtegehalt in der Schneedecke und folglich auch die Gleitschneeaktivität nahm immer mehr zu. Dies zeigte sich am 30. Dezember bei einem Lawinenunfall am Jenner in Berchtesgaden: Zwei Fußgänger wurden beim südostseitigen Zustieg in Richtung Bergstation von einer Gleitschneelawine überrascht. Sie wurden nur teilverschüttet, konnten sich selbst befreien und blieben unverletzt.
Januar
Auch der Januar 2024 startete mit Wind und Niederschlag wechselhaft. Die Schneefallgrenze schwankte zwischen 1.000 und 2.000m. In den Hochlagen kamen wenige Zentimeter Neuschnee hinzu, so sind lediglich kleinere, aber störanfällige Triebschneepakete entstanden. Ansonsten bestand die Schneedecke überwiegend aus Schmelzformen. Eis- und Schmelzharschschichten waren nur noch in höheren Lagen zu finden. Die Schneeoberfläche fror mit nächtlicher Abstrahlung. Die Absturzgefahr auf harter Oberfläche war vielerorts gegeben. Die Lawinengefahr war mäßig (Gefahrenstufe 2). Problematisch waren der Triebschnee und besonders im Allgäu der Gleitschnee. Schneefall vom 06. bis 07. Januar sorgte in den neuschneereichen Gebieten wieder für einen Anstieg der Lawinengefahr. Mit Wind gab es oberhalb der Waldgrenze einige, störanfällige Triebschneeansammlungen. Auch bei dem Lawinenunfall in den Ammergauer Alpen am 09. Januar spielte Triebschnee eine entscheidende Rolle. Bei einer Querung im kammnahen Bereich löste eine Person ein kleines Schneebrett aus und wurde rund 200m mitgerissen. Die weiteren Tage hatte es Minusgrade. Zusammen mit der nächtlichen Abstrahlung nahm der lockere Schnee an der Oberfläche zunehmend kantige Strukturen an. Das Wochenende versprach bei sonnigem Wetter gute Tourenverhältnisse. Aufgrund von Rückmeldungen, die auf relativ stabile Verhältnisse hindeuteten, wurde die Lawinengefahr verbreitet als gering (Gefahrenstufe 1) eingeschätzt. Das auch bei einer geringen Lawinengefahr Lawinen abgehen können, zeigte sich am 14. Januar. Wind aus westlichen Richtungen, der im Tagesverlauf auffrischte, verfrachtete den Schnee und ließ frische, störanfällige Triebschneeansammlungen entstehen. Der Lawinenwarnzentrale wurden aus den Allgäuer, Ammergauer und Werdenfelser Alpen mehrere Lawinenabgänge mit Personenbeteiligung zurückgemeldet. Der Unfall am Linkerskopf (Allgäuer Hauptkamm) endete tragischerweise tödlich. Das Wochenende war das unfallträchtigste im Lawinenwinter 2023/2024. Auch in der zweiten Monatshälfte stellten sich keine stabilen Wetterverhältnisse ein. In den mittleren Lagen fiel der Niederschlag häufig als Regen, in höheren Lagen kamen in Summe bis zu 40cm Neuschnee hinzu. Nass-, Gleit- und Triebschnee dominierten die Lawinenlage und sorgten teils für erhebliche Lawinengefahr.
Februar
Der Februar gestaltete sich sehr mild. In höheren Lagen war Triebschnee nur kleinräumig störanfällig, Schichten innerhalb der Schneedecke lösten sich immer mehr auf und unterhalb von 1.300m lag kaum noch Schnee. Es stellten sich Frühjahrsverhältnisse mit einer weitgehend stabilen und kompakten Schneedecke ein. Die Lawinengefahr war bis zum 20. Februar im Bayerischen Alpenraum verbreitet gering. Lediglich im Allgäu war die Gleitschneeaktivität nach wie vor recht hoch. In der letzten Februarwoche meldete sich der Winter zurück. Oberhalb von 1.500m fiel Schnee, im Allgäu und in den Berchtesgadener Alpen an die 30 bis 40cm. Ansonsten waren die Schneemengen überschaubar. Vom 21. bis 25. Februar war die Lawinengefahr in den Hochlagen aufgrund störanfälligen Triebschnees als erheblich einzustufen. Neben der Selbstauslösung kleiner Lockerschnee- und mittleren Gleitschneelawinen wurden auch einige Schneebrettlawinen durch Wintersportler losgetreten. Die Lawinen gingen außerhalb des überwachten Bereichs ab und blieben für alle Beteiligten ohne Konsequenzen.
März
Der März war geprägt durch einen steten Wechsel zwischen Hoch- und Tiefdruckgebieten und war wie die Wintermonate zuvor deutlich zu warm. Die Schneefallgrenze variierte zwischen 1.500 und 2.500m. Eine geschlossene Schneedecke war meist nur noch schattseitig oberhalb 1.500m zu finden, mit Ausnahme weniger Seitentäler im Allgäu. Mit der schwankenden Schneefallgrenze und dem unterschiedlichen Feuchtegehalt des Neuschnees ist oberhalb des Altschneepakets, bestehend aus Schmelzformen, eine Überlagerung von Schmelzharschkrusten entstanden ("Krustensandwich"). Pulverschnee gab es nur kurz und in den höchsten Lagen. Schnell wurde der Schnee feucht. Föhn in Kombination mit Saharastaub ließen gegen Ende des Monats die Schneedecke immer weiter schrumpfen. Aufgrund der warmen Temperaturen war im März das Nassschneeproblem neben dem Triebschneeproblem der höheren Lagen vorherrschend. An über 20 Tagen war Nassschnee, unter dem häufig auch ein nasses Gleitschneeproblem subsummiert wurde, als sekundäres Lawinenproblem im Lagebericht erwähnt. Im Allgäu wurden den gesamten Monat hindurch Gleitschneelawinen zurückgemeldet. Die Lawinen waren teilweise groß (Abbildung 3). Am Nebelhorn musste am 17. März aufgrund der starken Durchfeuchtung der Schneedecke eine Abfahrt gesperrt werden. Erfolgreich: Die Lawine ging im Zeitraum der Sperre ab. Lockerschneelawinen gab es vor allem zu Monatsbeginn nach den Neuschneefällen um den 06. März.
April
Der April machte seinem Namen alle Ehre. Zu Beginn knüpfte er an die steigenden Temperaturen des Vormonats an. Auf dem Zugspitzplatt (2.420m) wurden teilweise Temperaturen im zweistelligen Bereich gemessen. Die Schneedecke war in allen Höhenlagen und Expositionen tiefreichend durchfeuchtet. Schichten in der Schneedecke haben sich nahezu vollständig aufgelöst. Die Schneeoberfläche war bei nächtlicher Abstrahlung morgens verharscht und taute mit Sonneneinstrahlung wieder auf. Wenig Neuschnee hat sich gut mit der Altschneeoberfläche verbunden. Die Bayerischen Vorberge waren bis in die Gipfellagen weitestgehend schneefrei. In schneereichen, meist schattigen Mulden konnten sich noch vereinzelte Schneefelder halten. Die Lawinenaktivität beschränkte sich auf die Hochlagen. Die Lawinengefahr stieg im Tagesverlauf auf mäßig, teilweise auf erheblich an. Besonders am Allgäuer Hauptkamm wurden mehrere große Gleitschneelawinen beobachtet. Zur Monatsmitte zeigte der April dann sein anderes Gesicht. Eine Kaltfront führte polare Luftmassen an die Alpen heran. Mit Nordstau fielen vom 17. bis 19. April in den Bayerischen Alpen vielerorts an die 70cm Neuschnee, in dem stellenweise Graupel eingelagert war. Die Messstationen der mittleren Lagen zeigten wieder Schneehöhen an und die der Hochlagen waren wieder weit über dem langjährigen Mittel. Der Schnee lag in tiefen und mittleren Lagen auf dem zuvor ausgeaperten Boden, in der Höhe auf einer kompakten und durchfeuchteten Schicht aus Schmelzformen. Mit den Schneefällen hielt sich auch die Bewölkung bis in etwa 1.000m hartnäckig. Die Sicht war stark eingeschränkt, so dass sich skitouristische Unternehmungen meist auf die Vorberge und waldnahe Touren beschränkten. Auf dem warmen, glatten Boden begann das Neuschneepaket zu gleiten, in den Hochlagen ist stellenweise störanfälliger Triebschnee entstanden. Die Lawinengefahr war im Westen und den Hochlagen als erheblich einzustufen. Im Ober- und Ostallgäu mussten Wanderwege gesperrt werden. Mit diffuser und direkter Sonneneinstrahlung setzte sich der Schnee rasch. Weiche Zwischenschichten im Triebschnee waren kein Thema mehr. Kurzeitig war in höheren Lagen schöner Pulverschnee zu genießen. Die Temperaturen stiegen weiter. Der feuchte Schnee verlor im extrem steilen Felsgelände die Bindung und ging häufig als Lockerschneelawine ab. Auch Gleitschneelawinen waren mit der Durchfeuchtung kurzzeitig wieder vermehrt zu beobachten. Gegen Ende April haben sich in den Bayerischen Alpen Frühjahrverhältnisse eingestellt und die Lawinengefahr ist einem Tagesgang unterworfen: In der Früh gering, im Tagesverlauf mäßig. Touren sind frühzeitig zu starten und zu beenden.
Mit dem 06.Mai beendete die Lawinenwarnzentrale die Erstellung des Lawinenlageberichts für die Wintersaison 2023/2024. In den Hochlagen liegt noch überdurchschnittlich viel Schnee Bei Wandertouren ist auch im schneefreien Gelände auf die Gefahr von Schneedeckenresten zu achten, die oberhalb vom Weg am Boden abgleiten können.
Bayerischer Lawinenwarndienst im Winter 2023/2024
Wegen der meist geringmächtigen Schneedecke in tiefen und mittleren Lagen stellte sich die Beurteilung der Lawinenlage für die Lawinenkommissionen mit Zuständigkeiten an Straßen und Wanderwegen als unproblematisch dar. Ausnahmen waren Anfang Dezember und Mitte April, als ergiebige Neuschneemengen bis in Tallagen und anschließendem Temperaturanstieg für eine erhöhte Lawinenaktivität sorgten. In den bayerischen Alpen konnten während des gesamten Winters keine talgefährdenden Lawinenereignisse beobachtet werden. Die Sicherung der Skiabfahrten und Rodelbahnen im Bereich von Bergbahnen war für die dortigen Lawinenkommissionen auf Grund des dauerhaften Gleitschneeproblems an vielen Tagen anspruchsvoll, wurde jedoch an allen Tagen sehr routiniert gewährleistet. Es ist hervorzuheben, dass die Notwendigkeit einer schnellen Bereitschaft für die Beurteilung der Lawinengefahr durch die Lawinenkommissionen den gesamten Winter über aufrechtzuerhalten ist.